12. Mär 2021
Genauso verschieden wie wir Menschen ist auch die Art und Weise, wie wir Arzneimittel „verarbeiten“. Wer seine individuelle Pharmakokinetik kennt, kann seine maßgeschneiderte Hämophilie-Therapie einfach planen und umsetzen. Natürlich auch beim Sport!
Genauso verschieden wie wir Menschen ist auch die Art und Weise, wie wir Arzneimittel „verarbeiten“. Experten sprechen hier von der individuellen Pharmakokinetik. Für Hämophile ist es wichtig, dass zu jeder Zeit ein ausreichender Faktorspiegel gegeben ist, um Blutungen zu vermeiden. Ist man aktiv, ist in dem Moment ein höherer Spiegel erforderlich, als wenn man beispielsweise am PC sitzt. Die gute Nachricht: Wer seine individuelle Pharmakokinetik kennt, kann seine maßgeschneiderte Hämophilie-Therapie einfach planen und umsetzen. Natürlich auch beim Sport!
Schon in den 1950er Jahren gab es erste Erkenntnisse darüber, dass der Körper unterschiedlicher Menschen jeweils unterschiedlich mit einem Arzneimittel umgeht. Damit war der Grundstein für die Pharmakokinetik gelegt, die heute ein wichtiger Teilbereich der Arzneimittellehre ist.
In diesem Zusammenhang geht es um die Aufnahme, die Verteilung und den Abbau/die Ausscheidung des Arzneimittels im/aus dem Körper. Während dieses Prozesses ändert sich die Konzentration einer Substanz, bis sie am Ende des Prozesses nicht mehr wirkt bzw. komplett abgebaut oder ausgeschieden ist.
Dieses Prinzip gilt auch bei der Verabreichung von Gerinnungsfaktorkonzentraten. Kurz nach der Verabreichung (nach dem Spritzen) ist sehr schnell die höchste Konzentration erreicht und damit auch der höchste Schutz vor Blutungen. Von da an wird der Gerinnungsfaktor beständig abgebaut bis zur nächsten Injektion. Eine Prophylaxe wird idealerweise so geplant, dass die nächste Injektion bei einem Faktorspiegel erfolgt, der den Patienten immer vor spontanen Blutungen schützt. Das sind meist Werte zwischen 1 und 5 % – auch dies ist individuell verschieden. Für sportliche Aktivitäten müssen die Spiegel allerdings deutlich höher sein.
Es werden heute viele Daten dazu veröffentlicht, wie lange ein bestimmter Gerinnungsfaktor im Durchschnitt wirksam ist bzw. wie lange die Gerinnungsfaktoren Patienten ausreichend schützen. Mit diesen Informationen, die auf Mittelwerten basieren, lassen sich grundlegende Empfehlungen geben. Inzwischen ist es jedoch auch relativ leicht möglich, auch die individuelle – also die ganz persönliche – Pharmakokinetik jedes einzelnen Hämophiliepatienten zu ermitteln.
Dazu gibt es zuverlässige Verfahren. Sie zu nutzen lohnt sich, um einen optimalen Schutz zu erreichen. Die Grundlage sind immer Bestimmungen der Gerinnungsfaktoraktivitäten zu bestimmten Zeiten nach einer Injektion. Dosis und Uhrzeit der Verabreichung der Injektion müssen dabei bekannt sein.
Die „Recovery“ ist das Verhältnis von
verabreichter Faktormenge und dem maximalen Faktorspiegel im Blut. Um sie zu
bestimmen, wird der Faktorspiegel etwa 30 Minuten nach Verabreichung des
Faktorkonzentrats gemessen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Faktorspiegel am
höchsten. So weiß der Arzt, welche Faktormenge welchen Höchstspiegel (Peak) bei
diesem Menschen erreicht. Das ist
beispielsweise für die Dosierung bei akuten Blutungen wichtig.
Hier geht es um die Zeitspanne von
der Faktorgabe bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Faktorkonzentration im Körper
auf die Hälfte gesunken ist. Die Unterschiede sind hier sehr groß. So liegt die
durchschnittliche Halbwertszeit beim Faktor
VIII bei zwölf Stunden. Je nach Alter und anderen Faktoren kann sie bei einem
Menschen z.B. bei 7 oder auch bei 20 Stunden liegen.
Es liegt auf der Hand: Wer nicht weiß, wie die eigene Pharmakokinetik aussieht, läuft unter Umständen Gefahr, nicht gut geschützt zu sein. Wer alle aktuellen Möglichkeiten nutzt, steigert die eigene Lebensqualität und reduziert Risiken.
Das Wissen um die individuelle Pharmakokinetik ist der Schlüssel zum optimalen Schutz für Menschen mit Hämophilie. Es ist ein Tennis-Match geplant? Ein sportlicher Ausflug mit der ganzen Familie steht an? Die Radtour am Wochenende könnte anstrengend werden? Mit dem passenden Faktorspiegel ist das kein Problem.
Wer weiß, wie der eigene Körper den Gerinnungsfaktor abbaut, hat nun also gute Karten. Er kann direkt berechnen (hierzu stehen heute auch Apps zur Verfügung), ob der Schutz ausreichend ist. Sollte das nicht so sein, stellt die rechtzeitige Faktorgabe den Schutz schnell wieder her.
Das gibt mehr Sicherheit und bedeutet viel für einen selbstbestimmten, aktiven Alltag mit der Hämophilie.